Der Schachtürke
Im Jahre 1770 erblickte er das Licht der Welt – jener geheimnisvolle Türke, der in Gestalt einer lebensgroßen Puppe mit Kaftan und Fez hinter einer großen Kommode saß, auf der ein Schachspiel aufgebaut war. Wolfgang von Kempelen, Beamter am Hofe Kaiserin Maria Theresias, hatte ihn erbaut: Einen Schachspiel-Automaten, der rein durch die Kraft der Mechanik das königliche Spiel spielen und Menschen schachmatt setzen sollte. Die Begeisterung für Automaten, insbesondere für Androiden, also menschenartige Automaten, war im 18. Jahrhundert weit verbreitet. Solche Androiden konnten schreiben, kleine Zeichnungen verfertigen oder gar Musikinstrumente spielen. Was lag näher als die Tatsache, dass dieses „Leben aus der Uhrmacherwerkstatt“ nun sogar im Schachspiel den Menschen Paroli bot?
Schon die erste Vorstellung des Schachtürken vor der Kaiserin und ihrem Hofstaat war ein voller Erfolg. Von da an begann ein lang währender Siegeszug des Schachautomaten in Wien, dann durch Süddeutschland, durch Frankreich und England, später unter seinem neuen Besitzer und gewieften Betreiber Johann Nepomuk Mälzel in den englischen Seebädern und entlang der amerikanischen Ostküste bis hin nach Kuba. Stets waren die Auftritte der Figur nicht nur von Faszination, sondern auch von technischem Misstrauen begleitet: War es wirklich ein Automat, der so gut spielen und seine menschlichen Gegner fast immer besiegen konnte? War es geniale Mechanik oder fauler Zauber?
Erst 1838, nach dem Tode des Betreibers Mälzel, kam heraus, dass die Figur einem geschickt darin verborgenen Spieler ihre Fähigkeiten verdankte. Freilich gehörte dazu eine Mechanik, um eben diesen Spieler zu verbergen und um ihn sowohl die Vorgänge auf dem Schachbrett sehen wie auch die Züge mit dem linken (Hebel-)Arm des Türken durchführen zu lassen.
Heute weiß man, dass die in der Konsole verborgenen Spieler zu den besten ihrer Zeit gehörten – Johann Allgaier zum Beispiel, der im Innern des Mechanismus verborgen unter anderem 1809 gegen Napoleon Bonaparte spielte und haushoch gewann.
Oder William Lewis, der in den englischen Badeorten spielte. Die Notation von 50 seiner Schachtürken-Partien wurden in einem kleinen Bändchen herausgegeben: demzufolge hat er nur wenige Partien verloren.
Hohe Prominenz trat gegen den Schachtürken an. Die Partie gegen den bereits erwähnten Napoleon ist nicht ganz sicher verbürgt – sie wäre auch für den großen Korsen wahrlich kein Ruhmesblatt. Gesichert ist hingegen, dass Napoleon den Automaten zuerst durch unerlaubte Spielzüge testete. Der Türke reagierte mit einer kleinen Verbeugung und stellte die Figuren zurück. Nach weiteren Täuschungsmanövern fegte der Türke dann die Figuren vom Tisch und heimste sich damit ein Lob des französischen Kaisers ein.
Ein weiterer berühmter Gegner des Türken war einer der besten Schachspieler überhaupt, Francois André Philidor. Er gewann zwar mit Leichtigkeit, doch erschöpfte ihn die Vorstellung, gegen eine Maschine spielen zu müssen, außerordentlich.
Gegner des geheimnisvollen Apparates waren auch der leidenschaftliche Schachspieler Benjamin Franklin und der Engländer Charles Babbage, jener leicht skurrile Mathematiker, Wissenschaftler, Gesellschaftskritiker und Erbauer eines frühen mechanischen Vorläufers des Computers. Er verlor 1819 in London eine Partie gegen den Türken. Zwar ahnte er, dass der Apparat einen Menschen beherbergte und glaubte, dass eine Falltür im Boden dem Täuschungsmanöver diente. Aber zugleich fragte er sich, ob es möglich sei, einen richtigen Schachautomaten zu bauen. Edgar Allan Poe, selbst Schachspieler, kämpfte nicht gegen den Schachtürken, sah aber dessen Vorstellungen und versuchte, ihn in einem Essay zu enttarnen.
Beim Schach-Kampf mit dem Türken war viel Psychologie im Spiel: Meist gab der Scheinautomat Zug und Bauer vor und verunsicherte damit wohl seinen menschlichen Gegenüber. Ging es zu langsam, dann klopfte er ungeduldig mit der rechten Hand auf den Tisch und brachte damit den Gegner in Zugzwang. Immer aber spielte der Türke aggressiv, was auch seinem Habitus entsprach: Denn das türkische Gewand deutete nicht nur Geheimnis und Exotik an, sondern verwies auch auf die Türken als gefürchtete militärische Gegner.
Was aber hat nun der perfekte Nachbau eines solchen Objekts – das Original verbrannte 1854 in Philadelphia – im Heinz Nixdorf MuseumsForum zu suchen? Von jeher war das stark regelbasierte Spiel Prüfstein der künstlichen Intelligenz. Praktisch jeder der berühmten Computerpioniere hat sich mit dem Schachspiel und den Möglichkeiten maschineller Umsetzung auseinandergesetzt: John von Neumann ebenso wie Alan Turing, der eines der ersten Computerprogramme schrieb und es – mangels geeignetem Rechner – selbst umsetzte. Claude Shannon, Mitbegründer der Kommunikationstheorie, schrieb 1950 einen viel beachteten Aufsatz über künstliche Intelligenz, der mit einer Karikatur des Schachtürken versehen war. Und Konrad Zuse, berühmtester deutscher Mit-Erfinder des Computers, erstellte selbst ein einfaches Schachprogramm. Aber schon lange vor den ersten Tagen des Computers war der Schachtürke Symbol geworden für die Frage nach künstlicher Intelligenz. Kann ein vom Menschen geschaffenes künstliches Wesen den Menschen besiegen? Anders ausgedrückt: Kann eine Maschine intelligenter sein als der Mensch?
Ähnliche Fragen stellen sich heute angesichts des Fortschritts in der Informatik und Robotik. Der Schachtürke ist hier quasi Ahnherr künstlicher Intelligenz und ein Vertreter der „Paläorobotik“. Als seine Nachfolger sind die ersten Schachcomputer zu verstehen, die in einigen Exemplaren im Bereich KI/Robotik der HNF-Dauerausstellung zu sehen sind. Bis heute dauert der Kampf zwischen Mensch und (Schach-)Maschine an: „Big Blue“, „Deep Fritz“, „Stockfish“ oder „AlphaZero“ als wirkmächtige Nachfolger des Schachtürken lösen nun das ein, was er einst versprach. Seine Faszination indes haben sie ihm bis heute nicht nehmen können.
Im Gedenken an Michael Wolfgang Barz
Am Freitag, den 30. Juli 2004 wurde unser 1. Vorsitzender Michael Wolfgang Barz im Alter von nur 41 Jahren durch einen tragischen Verkehrsunfall aus dem Leben gerissen.
Michael war nicht nur Gründungsmitglied der SF Blauer Springer Paderborn, sondern engagierte sich auch sehr stark im Vereinsleben. So war er viele Jahre als Spielleiter und stellvertretender Vorsitzender aktiv, bis er 2002 die Amtsgeschäfte als Vorsitzender übernahm.
Durch seine maßgebliche Arbeit konnten wir 2003 die Fusion der „Schachfreunde Blauer Springer Paderborn“ und des „SK 1926 Paderborn“ zum „SK Blauer Springer Paderborn 1926 e.V.“ feiern.
Michael war vierfacher Vereinsmeister und auch die Meisterschaften im Schnell- und Blitzschach gingen mehrfach an ihn. Er war ein begeisterter und engagierter Schachspieler, der viel Zeit und Kraft investierte, den Schachsport bekannt zu machen und zu fördern. So organisierte er mehrfach Seminare mit GM Matthias Wahls, zu denen auch stets Schachfreunde anderer Vereine eingeladen waren.
Ein besonderes Ereignis war die Veranstaltung des Heinz Nixdorf MuseumsForums, in der Michael die Ehre hatte, gegen den Nachbau des legendären Schachtürken spielen zu dürfen. Aus dieser Veranstaltung heraus erwuchs auch der Gedanke, ein Schachtürken-Turnier auszurichten. Die Planungen für dieses Turnier hatten bereits begonnen als Michael so plötzlich verstarb.
Durch seinen plötzlichen Tod verloren wir nicht nur einen überaus engagierten Vorsitzenden und einen hervorragenden Schachspieler, sondern auch einen Freund der jederzeit bereit war, seinen Schachfreunden bei allen Problemen zu Seite zu stehen.
Als Verein haben wir es als unsere Pflicht gesehen, dieses von Michael geplante Turnier zu realisieren. Mögen wir damit nicht nur seinen Traum erfüllt haben, sondern ihm auf diese Weise auch ein Andenken gesetzt haben, das seiner würdig ist.
Das Heinz Nixdorf MuseumsForum
Das Heinz Nixdorf MuseumsForum (HNF) zeigt seit seiner Eröffnung am 24. Oktober 1996 die Geschichte der Informationstechnik von der Keilschrift bis zu neuesten Entwicklungen der Robotik und Künstlichen Intelligenz.
Die multimediale Zeitreise führt durch 5.000 Jahre Geschichte: Sie beginnt bei der Entstehung von Zahl und Schrift in Mesopotamien 3.000 v. Chr. und umfasst die Kulturgeschichte des Schreibens, Rechnens und Zeichnens. Schreib- und Rechenmaschinen sind ebenso ausgestellt wie Lochkartenanlagen, eine funktionsfähige Telefonvermittlungsanlage der 1950er Jahre, Bauteile der frühesten, zimmergroßen Computer, über 700 Taschenrechner oder die ersten PCs. Arbeitswelten aus mehreren Jahrhunderten sind in der Ausstellung inszeniert.
Täglich geöffnet außer montags
dienstags bis freitags 9-18 Uhr, samstags, sonntags 10-18 Uhr
Eintritt: Erwachsene 8 €, ermäßigt 5 €
Schulklassen haben nach Anmeldung freien Eintritt